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Ein trauriges Ereignis im Jahre 1899

Ein trauriges Ereignis im Jahre 1899

aus: Bopparder Zeitung vom 3.10.1899

Boppard.  Wie ein Lauffeuer verbreitete sich am Samstagnachmittag gegen 5 Uhr die Schreckenskunde: In Salzig ist der Kirchenneubau eingestürzt. Mit Bangen dachte man an den noch ungewissen Umfang des Unglücks, das unter Umständen auch hiesige Familien betroffen haben könnte. Mit Zweirädern und Wagen, zu Fuß und mit der Bahn eilten Schaulustige und Besorgte nach Salzig, um sich persönlich von der Tragweite des Unglücks zu überzeugen. Schon weit vor Salzig konnte man erkennen, dass das Unglück nicht in solchem Umfange eingetreten war, wie die ersten Gerüchte vermuten ließen. Gleichwohl bot die Stätte des Unglücks ein Bild der Verwüstung. Bruchsteine, Ziegelsteine, Sandsteintrümmer, untermischt mit Balken- und mit Rüstbretttrümmern, lagen in wüstem Durcheinander im Innern der Kirche; von dem alten Gotteshaus, um das herum das neue in erweitertem Umfang erstehen soll und das zum Teil schon abgebrochen ist, waren Fenster eingedrückt, ein Haufen Trümmer hatte an der Südwestecke eine Reihe Bänke verschüttet und mehrere derselben wie Pappschachteln umgedrückt, kurz, es war ein arges Bild der Zerstörung.
Gegen 4 Uhr am Samstagnachmittag - die Arbeiter hatten gerade ihre Mittagspause beendet und sich zum Teil schon auf ihre Arbeitsplätze begeben - stürzten plötzlich die drei, das westliche Seitenschiff vom Mittelschiff trennenden gewaltigen Bogen ein, die schon auf dem Gerüst befindlichen Arbeiter mit sich reißend. Ein Krach, ein Schrei, und das Unglück war geschehen! Die übrigen Arbeiter und eine Menge sofort herbeigeeilter Einwohner begaben sich sofort daran, die Verschütteten von den auf ihnen liegenden Trümmern zu befreien. Die Namen der Schwerverletzten sind: Maurer Georg Hubert Dausner (Lungen- und Schlüsselbeinbruch und Hautabschürfungen an Kopf und Händen). Zwei Arbeiter, Ph. Dausner und ein erst wenige Tage in Arbeit stehender Mann aus der Nähe von Mainz, namens Adam Kuhn hatten wohl auch Verletzungen davongetragen, doch konnten sich diese nach ihren Wohnungen begeben. Einer der Schwerverletzten ist verheiratet und Vater von einem Kinde. Ärzte waren sofort zur Stelle, und die Schwerverletzten empfingen das hl. Abendmahl. Hoffentlich bleiben dieselben am Leben und erlangen ihre volle Gesundheit wieder.
Über die Ursache des Einsturzes lässt sich noch kein bestimmtes Urteil abgeben, doch wird die Untersuchung hoffentlich die volle Wahrheit ans Licht bringen. Herr Bürgermeister Brands nahm bald eine Ortsbesichtigung vor und traf die nötigen Anordnungen. Allgemein wird angenommen, dass die Säulen für die Last des darauf ruhenden Mauerwerks zu schwach gewesen seien, und dass die ungünstige regnerische Witterung ihr Teil mit dazu beigetragen habe.
Ein großes Glück, bei allem Unglück ist es noch zu nennen, dass der Einsturz nicht am Sonntag erfolgte, da der Gottesdienst nach wie vor noch in der halb abgerissenen Kirche abgehalten wird und die Gläubigen sich, da sie in dem kleinen Raum nicht genügend Platz haben, zum Teil in dem Neubau aufhalten.
Über den Unfall erfahren wir noch folgendes: Der Bauunternehmer Schott aus Wallhausen war zu der Zeit in seiner Wohnung mit Aufstellung der Lohnliste beschäftigt. Der Maurerpolier Ludwig aus Salzig, der das Gerüst besteigen wollte, bemerkte zu seinem Schrecken das Abbröckeln von Kalk an einem Pfeiler, was er als Anzeichen dafür auffasste, dass das Mauerwerk nachließ; er rief sofort den schon auf dem Gerüst befindlichen Arbeitern zu, sich zu retten, und sprang selbst aus dem Bereich der gefahrdrohenden Stelle. Zwei Arbeiter, Nic. Heil und Anton Thum, vernahmen den Warnungsruf und konnten sich noch an den Gerüststangen festhalten, so dass sie vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt wurden. Sie beteiligten sich nach dem Zusammensturz an den Rettungsarbeiten. Drei Arbeiter waren bis an die Hüften, der vierte ganz verschüttet, doch konnte letzterer sich noch durch Rufen bemerkbar machen. An der Baustelle sind sonst 18 Mann beschäftigt, zur Zeit des Unfalles arbeiteten nur sechs Mann dort.
Da die Baustelle polizeilich geschlossen wurde, findet der Gottesdienst einstweilen in der Schule statt.


Anmerkung: Bei dem Namen Georg Hubert Dausner liegt ein Irrtum vor; es handelt sich um Georg Hubert Gras.